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Warum Chefs Türkisch lernen
Wenn Unternehmer ihre ausländischen Kollegen nicht ernst nehmen, haben sie bald ein massives Problem. Unter Garantie.

Genervt stellt der deutsche Vorarbeiter fest, dass nur wenige Beschäftigte in der Produktionshalle arbeiten: »Es ist ja kein Schwein hier«, brüllt er erbost in die halbleere Halle. Und löst damit - ungewollt - einen handfesten Krach mit den aufgebrachten türkischen Mitarbeitern aus. Der Grund: Mit seinem flapsigen Spruch hatte der Vorgesetzte die Türken zutiefst beleidigt. Denn in der islamischen Wertvorstellung gilt das Schwein als unrein.
Solche oder ähnliche Szenen ereignen sich im betrieblichen Alltag zuhauf. »Weil Firmenchefs die Konflikte mit ausländischen Mitarbeitern nicht ernst nehmen, vergeuden Betriebe Jahr für Jahr Ressourcen in Milliardenhöhe«, weiß Andrea Budde, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Konfliktberatung. Deshalb begann die Kölnerin vor zwei Jahren erstmals in Deutschland damit, so genannte Konfliktlotsen auszubilden. Sie sind im Streitfall erste Ansprechpartner und vermittelnde Berater.

Ignoranz stört das Klima
Die häufigsten Ursachen für Zwist zwischen ausländischen Mitarbeitern und deutschen Chefs sind Defizite in der Kommunikation, pure Gedankenlosigkeit, das Ignorieren anderer Mentalitäten und Nicht-Wissen über andere Kulturen. Darunter leidet die Produktivität. Folge: Krankmeldungen und Dienst nach Vorschrift. Doch wie sehr deutsche Firmen gerade auf ausländische Mitarbeiter angewiesen sind, zeigt der Bericht der Zuwanderungskommission: Die deutsche Wirtschaft braucht pro Jahr 50 000 Einwanderer, um den Mangel an Fachkräften zu decken. Schon heute geht in den meisten Betrieben nichts mehr ohne die Kollegen etwa aus der Türkei, Spanien, Italien. Von den 30 Millionen Erwerbstätigen sind inzwischen 2,9 Millionen ausländische Arbeitnehmer (1980: 2,1 Millionen). Selbst in mittelständischen Betrieben sind Belegschaften mit über 20 Nationalitäten keine Seltenheit mehr. So zum Beispiel in der sauerländischen Dura GmbH: »Ohne die 700 ausländischen Mitarbeiter hätten wir eine ernsthafte Rekrutierungslücke«, bestätigt Michaela Weise, Leiterin der Personalentwicklung, Zu den wichtigsten Aufgaben zählt daher das Auseinandersetzen mit Mentalität und Arbeitsauffassung der zumeist türkischstämmigen Kollegen. Andernfalls drohen Probleme. Der Plettenberger Autoteilezulieferer bekam dies bei der Analyse des hohen Krankenstands von 8,4 Prozent zu spüren (Branchenschnitt 6,6 Prozent).
Die Migrationsexpertin und Beraterin Anne Dietrich wusste Rat: Anders als Deutsche fordern türkische Männer ab 50 Jahren offensiv den Einsatz der Jüngeren. Hintergrund: Die meisten Türken gehen schon mit 14 Jahren in den Beruf - mit 50 fehlen so manchem die Kraftreserven. Wenn Firmen das nicht erkennen und über Gespräche sensibel steuern, gibt es Knatsch. »Der Mitarbeiter setzt dann die vermeintliche Krankheit als Machtmittel ein«, so Dietrich.

Kommunikation ist alles
Dura ließ 15 Mitarbeiter von ihr in Seminaren zum Konfliktlotsen ausbilden. Sie erhalten dort das Rüstzeug, mit notwendigem Fingerspitzengefühl gegenzulenken. »Oft hilft schon das geschulte Zuhören und Nachfragen«, weiß Dietrich. Im Falle Dura finden bereits viele Gespräche statt, in denen »allen Beteiligten klar gemacht wird, dass sie mit ihrer Arbeitsauffassung auch ihren Kollegen schaden«, so Dura-Personalchefin Michaela Weise. Eine Erfolg versprechende Strategie, denn die meisten arbeiten dort in Gruppenarbeit. »Wir sind nun auf dem besten Weg, unsere Probleme in den Griff zu kriegen«, zieht Michaela Weise ein erstes Fazit. (...)

 


So arbeiten Konfliktlotsen
In der Abteilung herrscht mal wieder dicke Luft: Der ausländische Mitarbeiter fühlt sich ständig missverstanden, der deutsche Kollege versteht nicht, warum. Jetzt schlägt die Stunde des Konfliktlotsen.

Aufgaben: Konfliktlotsen sind bei Streit im Betrieb für alle Beteiligten die ersten Ansprechpartner. Es handelt sich dabei um geschulte Mitarbeiter des jeweiligen Betriebs, die nicht unbedingt freigestellt werden müssen. Ihre Aufgabe besteht nicht nur darin, akute Probleme zu lösen, sondern auch, Streitfälle rechtzeitig aufzuspüren. Sie beraten die Konfliktparteien, vermitteln an interne und externe Experten: Beratungsstellen, Rechtsanwälte, Mediatoren.

Ausbildung: Die Firmen selbst wählen ihre Lotsen aus, die eine integere Position im Unternehmen haben sollten. Dabei gilt es, möglichst aus allen Abteilungen und Hierarchiestufen Mitarbeiter auszuwählen. Qualifizierung: ein mehrtägiges Training-Coaching-Programm. Der Teilnehmer lernt Gesprächstechniken, Verhandlungsführung und Grundkenntnisse der Mediation. Wichtig ist es, die Arbeit der Lotsen rechtlich abzusichern (Betriebs- oder Dienstvereinbarung). Die Kosten betragen pro Mitarbeiter und Tag zirka 300 Mark.


Veröffentlicht in:
Impulse - Das Unternehmermagazin
9/2001, S. 106/107
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